Anfänge der Bettelorden und Besitz
Das Christentum stellte von Beginn an Armut in den Vordergrund, doch besonders die asketische Praxis führte bald zur Anhäufung beträchtlichen Reichtums. Als Reaktion entstanden ab dem 11. Jahrhundert zahlreiche Armutsbewegungen, die jedoch oft als häretisch galten. Erst im 13. Jahrhundert fand die Kirche eine Form, die Armutsbestrebungen institutionell zu integrieren: die Bettelorden.
Bis dahin war es Klerikern grundsätzlich verboten zu betteln. Klöster folgten Regelwerken, die Gebet und Arbeit verbanden – und wurden dadurch zu Grundbesitzern mit Ländereien, Werkstätten und Vermögen. Schon der Begriff „Bettelorden“ war für jene Zeit revolutionär.
Zwischen 1206 und 1230 formierten sich die beiden ersten Gemeinschaften: der Orden der Minderen Brüder (OFM, Ordo Fratrum Minorum) und der Predigerorden (OP, Ordo Praedicatorum), heute meistens nach den Namen ihrer Gründer als Franziskaner bzw. als Dominikaner genannt. Beide verband der Wille, das Evangelium radikal zu leben, doch ihre Wege unterschieden sich grundlegend. Dieser Unterschied wird sichtbar, wenn man ihre Geschichten nicht, wie gewohnt, isoliert erzählt, sondern ihre Schritte auf derselben Zeitachse betrachtet.
Dominikus und Franziskus: neue Wege
Dominikus war ein gebildeter Domkanoniker aus Spanien. Er nahm am Kreuzzug gegen die Albigenser teil, wo er versuchte diese mit Predigt zu konvertieren. Um 1206 erhielt er vom Papst Innozenz III eine präzendenzträchtige Erlaubnis: Als gebildeter Priester durfte er fortan wie ein Wanderprediger leben, um auf die Armen glaubwürdig zu wirken. Es wurde ihm allerdings ein Leben in einer Priestergemeinschaft empfohlen.
Schon 1206-1207 wurde ihm vom Bischof von Toulouse ein Frauenkloster zur geistlichen Betreuung und ein Haus zur Verfügung gestellt; Dominikus selbst, zusammen mit seinen Gefährten, wurde vom Bistum als Prediger beauftragt, die „häretischen“ Gebiete des Bistums zu missionieren.
Franziskus von Assisi war dagegen kein Kleriker, er entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie. Nachdem er an einigen lokalen Kriegen zwischen den italienischen Adligen teilgenommen hatte, entschied er sich 1207, den Worten aus Mt 19,21 zu folgen: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!“ Um ihn sammelten sich bald Gleichgesinnte. Sie lebten am Rande der Stadt, predigten auf den Straßen und übten einen totalen Besitzverzicht aus, nur die notwendigsten Lebensmittel als Almosen annehmend.
Noch kurz zuvor wäre eine solche Lebensweise unter Häresieverdacht gefallen. Doch nach der Ausnahme für Dominikus war sie nicht mehr per se verboten. Unterstützt von Kardinal Ugolino von Ostia, verfasste Franziskus für seine Gefährten eine kurze Regel: kein Besitz, kein Geld, kein Einkommen – absolute Armut, individuell und gemeinschaftlich.
Ordensgründungen
Die Gemeinschaft um Dominikus lebte nach der Regel des Augustinus, wie es Papst Innozenz III ihm vorgegeben hatte – ein Regelwerk aus dem 4. Jahrhundert, das als Satzung vieler Klöster und der meisten Priestergemeinschaften diente. Diese fokussiert sich auf das Leben des Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft, verbietet privaten Besitz, schreibt aber gemeinschaftlichen Besitz vor: die Gemeinschaft darf Häuser, Kirchen und Einkünfte besitzen.
Als Franziskus seine selbstverfasste Regel in Rom vorlegte, zeigte sich Innozenz III skeptisch. Der Papst empfahl auch ihm, sich einer der bestehenden Regel – etwa der des Augustinus oder des Benedikt – anzuschließen. Doch Kardinal Ugolino, ein kluger Vermittler, überzeugte den Papst, die Bewegung zuzulassen. So entstand 1210 der Orden der Minderen Brüder, mündlich genehmigt, aber rechtlich kaum definiert.
Auf dem IV Laterankonzil 1215 (unter Innozenz III) wurde die Lebensart von Dominikus unterstützt: Auch andere Bischöfe sollten das Modell der Diözese Toulouse übernehmen und geeignete Prediger beschäftigen, die zugleich aber in der Seelsorge eingesetzt werden sollten.
Im nächsten Jahr, 1216, bestieg der neue Papst, Honorius III, den Petersstuhl. Dominikus versuchte erneut seine Predigergemeinschaft als selbstständigen Orden anerkennen zu lassen. Mit der Bulle Religiosam vitam (1216) bestätigte der Papst die Gründung des Predigerordens – allerdings nicht unter eigener Regel, sondern weiterhin „nach der Regel des heiligen Augustinus“. Das bedeutete, gemeinschaftliches Eigentum wurde weiterhin vorgeschrieben. Die Brüder durften „rechtmäßig besitzen, was sie besitzen oder künftig besitzen werden“ – Häuser, Kirchen, Güter. Damit schuf Honorius ein rechtlich klares Fundament.
Besitz als Orientierungsfrage
Im selben Jahr 1216 formulierten die Predigerbrüder eine ergänzende Satzung, die „erste Unterscheidung“ (s.g. Distinctio prima) des Predigerordens von anderen Gemeinschaften, die nach Augustinusregel lebten. Sie sollte die spezifische Beweglichkeit der Prediger gewährleisten und zugleich die strengeren Armutsvorschriften für die einzelnen Brüder festlegen. Die gemeinschaftliche Besitzstruktur blieb – ein entscheidender Unterschied zu dem Orden der Minderen Brüder – auch hier gemäß der Augustinusregel bestehen.
Die Minoriten dagegen besaßen nach der Franziskusregel überhaupt nichts. Ihre Bewegung wuchs rasant: 1217 wurde der Orden in Provinzen gegliedert und jährliche Generalkapitel eingeführt. Franziskus, charismatischer Anführer einer inzwischen europaweiten Bewegung, stand aber vor einer wachsenden Spannung: Wie lebt man absolute Armut, wenn man tausende Brüder versorgen muss? Besonders die gebildeteren Brüder forderten praktikable Anpassungen. Für Franziskus jedoch war der totale Verzicht auf Eigentum der Kern der Christusnachfolge. Früh bildeten sich zwei Lager: Idealisten und Pragmatiker.
Franzikus' Regel: Besitzlosigkeit oder Privatbesitz?
1220 legte Franziskus die Leitung nieder – erschöpft und zunehmend entfremdet von der Gemeinschaft. Doch der Druck blieb: Papst Honorius III und viele Brüder verlangten verbindliche Bestimmungen. So entstand 1221 eine zweite Fassung, die „nicht bullierte Regel“ – erneut ohne päpstliche Bestätigung. Zwei Jahre später wurde schließlich die endgültige Version verfasst und 1223 durch die Bulle Solet annuere bestätigt.
Diese „bullierte Regel“ der Minderen Brüder ist einzigartig:
- Kein Besitz: weder privat noch gemeinschaftlich.
- Keine Geldannahme: auch nicht als Almosen.
- Leben ohne feste Häuser: Unterkunft nur auf Gastfreundschaft oder im Freien.
- Arbeit erlaubt, aber Geldlöhne verboten.
- Pflege der kranken Mitbrüder verpflichtend, aber ohne Geldmittel.
- Zwei Tuniken und Schuhe als Privatbesitz der einzelnen Brüder.
Im Vergleich zur Augustinusregel, die die Besitzlosigkeit der Einzelnen und den gemeinschaftlichen Besitz voraussetzte, war Franziskus’ Regel radikal – und praktisch kaum umsetzbar. Wie sollte ein Orden ohne eigene Häuser organisiert werden? Woher konnte man die liturgischen Bücher und Gerät bekommen und wo sollten sie aufbewahrt werden? Woher kamen die Tuniken, wenn kein Geld angenommen werden durfte?
Andererseits stand der individuellen Besitzlosigkeit der Augustinusregel hier der vorgeschriebene private Besitz der Kleidung gegenüber.
Strukturierung des Predigerordens
Während die Minderen Brüder um Besitzverbote stritten, arbeiteten die Predigerbrüder an der organisatorischen Konsolidierung. 1220 fand ihr erstes Generalkapitel statt, das – wie bei den Minoriten – seitdem auch jährlich abgehalten werden sollte. Doch zeigte sich zweierlei Unterschied:
- Repräsentation: Bei den Minoriten waren alle Mitbrüder zum Generalkapitel eingeladen, im Predigerorden nahmen nur Delegierten daran teil.
- Inhaltlich: Franziskus bestand auf der Unveränderlichkeit seiner Regel, die Predigerbrüder führten auf jedem Kapitel Praxisanpassungen ein.
Im Jahr 1220 wurde eine zweite „Unterscheidung“ von der Augustinusregel beschlossen (die s.g. Distinctio secunda): im Gegensatz zu den auf derselben Regel basierenden Mönchensatzungen, wurde der Besitz von Ländereien und Einkünfte aus diesen untersagt; geregelt wurden Bau und Erwerb der notwendiger Ordenshäuser und die Verwaltung des Ordensbesitzes.
Unter dem Generalmagister Jordan von Sachsen (1222–1237) erhielt der Orden feste Strukturen. Jetzt, etwa fünf Jahre später als bei der Minoriten, wurde auch der Predigerorden so verbreitet, dass er Provinzen einrichten musste.
Franziskus' Testament und der erste Armutsstreit
Franziskus’ letztes Wort war sein Testament von 1226: ein leidenschaftliches Bekenntnis zur heiligen Armut. Er erklärte, Gott selbst habe ihm diese Lebensweise offenbart, und untersagte jede spätere „Glossierung“, also jede Interpretation.
Doch die Regel war ohne Auslegung nicht lebbar. Nach seinem Tod übernahm Johannes Parenti die Leitung, während Kardinal Ugolino (seit 1227 Papst Gregor IX) weiterhin über den Orden wachte.
Die Brüder baten um Klärung: Problematisch waren neben dem strengen Streben nach Armut innerliche Unklarheiten der Franziskusregel, die nach dem Testament nicht mehr kommentiert werden durften. Bis zum Tod Franziskus’ waren diese Fragen Quelle von Konflikten; nach seinem Tod und Testament gerät der Orden in eine ausweglose Lage, in der jede Lösung ein Verstoß wäre. Indem Gregor IX 1228 Franziskus heiligsprach, festigte er noch mehr dessen Autorität – und verschärfte die Spannung im Orden.
Konstitutionen des Predigerordens: Anpassungsfähigkeit
Der Predigerorden ging mit seiner Regel anders um. Der Generalmagister Jordan kodifizierte und systematisierte die Satzung des Ordens, und im Jahr 1228 schrieb er auf Grundlage der zwei „Unterscheidungen“ die ersten Konstitutionen des Predigerordens. Diese wurden zusätzlich zur Augustinusregel rechtsverbindlich. Zugleich erhielten die Oberen das Recht, einzelne Ordensmitglieder aus praktischen Gründen von einzelnen Vorschriften freizustellen. Armut blieb zentral, doch sie war funktional: Der Verzicht auf Eigentum hatte keinen essentiellen Wert (wie für Franziskus), sondern sollte der Glaubwürdigkeit der Predigt dienen.
Die bereits in der Augustinusregel verankerte, und durch die Gesetzgebung des Predigerordens ausgebaute Flexibilität und Anpassungsbereitschaft sicherte strukturelle Stabilität: Bis etwa 1230 wurde die Gründungsphase weitgehend abgeschlossen und der Orden bleibt in seinen Grundstrukturen bis heute kaum verändert.
Lösung des ersten Armutsstreites bei den Minoriten
1230 entsandte das Generalkapitel des Minoritenordens eine Delegation zum Papst, um den Umgang mit der Franziskusregel und seinem Testament zu klären. Gregor IX, Kirchenjurist und Franziskus’ Freund, antwortete im selben Jahr mit der Bulle Quo elongati. Darin erklärte er das Testament für nicht bindend. Der Papst berief sich auf seine persönliche Kenntnis des Heiligen und erkannte, dass die Regel ohne Auslegung nicht überlebensfähig sei. Auch andere direkte Eingriffe in die Regel erleichterten das Leben der Brüder.
Juristisch verstieß diese Entscheidung nicht gegen geltendes Recht. Dennoch stand sie im offenen Widerspruch zum ausdrücklichen Willen des Ordensgründers. Dieser sehr radikale Schritt stellte Handlungsfähigkeit im Orden wieder her, brachte jedoch keine endgültige Lösung.
Viele neue Armutsstreitigkeiten folgten: In den nachkommenden Jahrhunderten wurden verschiedene Lösungen versucht, um die Kluft zwischen Ideal und der Realität zu schließen, die jedoch zu Spaltungen im Orden der Minderen Brüdern führten.
Zusammenfassung: Zwei Armutsverständnisse
Die Frühgeschichte der Bettelorden zeigt zwei Lebensentwürfe, die sich parallel entwickeln und doch wechselseitig aufeinander reagieren.
Für die Minoriten war der absolute Eigentumsverzicht das Wesen der Christusnachfolge. Er wurde ihr Identitätsmerkmal – und Ursprung dauerhafter innerer Krisen. Aus dieser Perspektive erscheint Kardinal Ugolino als ambivalente Figur: Er ermöglichte Gründung und einzigartige Regelgestaltung, sprach Franziskus heilig – und änderte kurz darauf die Regel gegen dessen expliziten Willen. Doch gerade die absolute Besitzlosigkeit begeisterte und inspirierte neue Nachfolger.
Der Predigerorden behandelte die Eigentumsfrage pragmatisch. Armut galt nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel für Predigt und Gemeinschaftsleben. Diese Zielorientierung bewahrte den Orden vor solchen Armutsstreiten. Zudem sicherte die organisatorische Flexibilität strukturelle Lebensfähigkeit
Bild: Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie/ Christoph Schmidt