Brief aus Belém (1988)

von Eduardo Relly

Der Aufstieg der biotechnologischen Revolution seit den 1970er Jahren (hauptsächlich Gentechnik) und die Ausweitung geistiger Eigentumsrechte haben es Konzernen und Naturwissenschaftlern*innen aus dem globalen Norden ermöglicht, aus der Vielfalt der Natur Profit zu ziehen. Der Begriff Biodiversität ist durch die technologische Kapazität geprägt, Naturvielfalt massiv zu nutzen, zu quantifizieren, zu verwalten und in Wert zu setzen.

Um Biodiversität profitabel zu machen, greifen Konzerne und Wissenschaftler*innen auf das traditionelle Wissen von Indigenen und lokalen Gemeinschaften zu. Durch die westliche Wissenschaft wurden bisher nur maximal 18% der globalen biologischen Vielfalt erforscht. Die biologische Vielfalt in sogenannten megadiversen Regionen im globalen Süden befindet sich in den Händen Indigener und lokalen Gemeinschaften.

Der Brief aus Belém (1988) thematisiert Biodiversität im Kontext der globalen Diskussion um Nord-Süd-Ungleichheiten. Er wurde im Rahmen der „socioambientalista“- und „indigenista“-Bewegungen im Amazonas-Regenwald unter Teilnahme von Expert*innen konzipiert. Zu der Frage, wem die Biodiversität gehört, wurde im Brief eine starke Position vertreten. In Anbetracht der „Renaissance von Indigenen für das Recht“[1] traten 1988 Indigene aus dem Amazonas-Gebiet (und aus anderen Weltregionen) und Aktivist*innen in der Amazonasmetropole Belém für die gerechtere Verteilung des Profits aus Biodiversität in der biotechnologischen Branche ein. In einer Arbeit, die von dem nordamerikanischen Ethnobiologen Darrell Posey und dem Indigenen Kayapós konzipiert wurde, prangerten Indigene den kontinuierlichen Missbrauch ihres traditionellen Wissens und dessen skrupellose Enteignung an. Zugleich forderten sie konkrete Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung indigener territorialer Landrechte. Diese damals intendierten Schutzmaßnahmen umfassten einen globalen Kompensationsmechanismus sowie die Berücksichtigung indigener Zustimmung als Basis für die Nutzung globaler Biodiversität, die normalerweise durch Patente bestimmt wird.

Während der Aushandlungen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD 1992) wurde das Konzept access and benefit-sharing als Kompensation für Indigene von Frankreich, Japan und den USA als Verletzung der geistigen Eigentumsrechte von Konzernen angegriffen. Die Kompromissbereitschaft und der gleichzeitige zunehmende politische Druck seitens Indigener und Aktivisten*innen haben die Rio-Umweltkonferenz 1992 zu einem entscheidenden Kipppunkt der Umwelt- und globalen Eigentumspolitik gemacht. Der Brief aus Belém hatte damals in Rio großen Einfluss. Er entstand zeitgleich zum Brundlandt-Bericht (1987) und zur neuen Brasilianischen Bundesverfassung (1988), die die Rechte der Indigenen verstärkt und das im Land vorhandene genetische Erbe als Teil der staatlichen Souveränität ansieht. Das unermüdliche Engagement von Posey und verbündeten Indigenen hat eines der Ziele der CBD, „den gerechten Vorteilsausgleich aus der Nutzung der biologischen Vielfalt“, geprägt. Access and benefit-sharing wurde in der globalen governance der Biodiversität angesiedelt und galt als das erste Instrument zum Schutz indigenen traditionellen Wissens im Internationalen Recht (2010 spezifiziert durch das Nagoya Protocol). Seitdem bildet access and benefit-sharing eine neue Form geistiger Eigentumsrechte sui generis.

2018 wurde die Carta de Belém+30 publiziert, in der überprüft wurde, ob die Grundprinzipien der ursprünglichen Carta de Belém rechtlich und sozial angewendet wurden. Die Unterzeichner*innen brachten neue Kritiken hervor und kamen zur Einschätzung, dass das Programm des ursprünglichen Briefs sehr stark von ihren Zielen abweicht. Trotz Errungenschaften des Briefs belaufe sich der rechtliche Schutz traditionellen Wissens ausschließlich auf die Perspektive kapitalistisch geprägter geistiger Eigentumsrechte. Der Brief aus Belém und die daran anschließende Förderung eines globalen Mechanismus zum Vorteilausgleich in Bezug auf die Nutzung genetischer Ressourcen und den Schutz indigenen traditionellen Wissens stellen ein wichtiges Kapitel des globalen Umgangs mit geistigen Eigentumsrechten dar.

 

[1] Siehe Marés, Carlos. O Renascer dos Povos Indígenas para o Direito. Curitiba: Juruá, 1998.

Carta de Belem
https://www.ethnobiology.net/what-we-do/core-programs/global-coalition-2/declaration-of-belem/